Zugzwang

Eine Geburtstagsschlemmerei nähert sich dem Ende und wir sitzen an einem lauschigen Abend in einem von Kerzenlicht erleuchteten Innenhof. Der Geruch des frischen Lavendels betört unsere Sinne schon seit Stunden. „Ihr seid doch Blogger,“ mischt sich ein wohlbekannter weiblicher Gast vorlaut in unser Gespräch ein. „Ja…“ Wir kommen nicht mehr raus aus der Nummer. Eine Flasche Vinho Verde wird vor uns hingestellt mit einer ebenso charmanten, wie bestimmten Geste. „Über den müsst ihr schreiben.“

Aguarela Vinho Verde. Aha.

Es ist kurz vor Mitternacht, die Barbecue-Sauce hat die Geschmacksnerven bis zur Leistungsgrenze gedrängt, aber naja, wir lassen uns gerne die Gläser füllen.

Wir suchen nach der Jahreszahl auf dem Etikett, aber werden darauf hingewiesen, dass Vinho Verde immer vom Vorjahr ist. Logisch, wussten wir natürlich, nur vergessen.

Aber vor dem ersten Schluck muss die aromenverfälschende Duftkerze weggestellt werden, deren Dunst vor uns herumwabert. Wir sind schließlich keine Amateure. Richten sich alle Blicke auf uns oder bilden wir uns das nur ein? Ist es etwas stiller um uns geworden? Wir bringen unsere Augenbrauen in eine ausdrucksstarke Position und setzen die Gläser an.

Zuerst ein knisterndes Prickeln, das sich im Mund auftürmt und den frischen Geschmack einer gerade zubereiteten kalten Zitrone hat. Dann aber dreht der Aguarela einige Runden durch den Mundraum, bis wir vermeinen das erste Geheimnis entdeckt zu haben: Einen Grundton von grüner Pflaume, vielleicht sogar noch etwas unreif. Stachelbeere lässt sich außerdem noch hineindichten. Angenehm in einer heißen Sommernacht.

Wir trinken noch ein zweites und ein drittes Glas, um sicherzugehen, dass uns kein Aroma entwischt ist. Und ziemlich erfrischend ist der Tropfen, auch fernab der Atlantikküste. Wenn sich die frischen kühlen Fruchtnoten verflüchtigen bleibt die leichte Bitterkeit einer Physalis zurück.

 

CHAPEAU!

Während noch „Allez les bleus“-Rufe durch unsere Gedanken hallen,  greifen wir an diesem schönen Sommerabend zu einem Franzosen: Dem Antoine Simoneau Sauvignon Blanc 2016.

Äußerst angenehm taucht die frische Säure von Äpfeln auf. Sie berührt nicht die Zunge, sondern verbreitet sich stattdessen im ganzen Mundraum. Die genaue Natur der Äpfel bleibt für die Instinkttrinker zuerst noch schwer zu greifen. Kleine grüne, sagt Charles. Granny Smith, sagt ein charmanter, mittrinkender Gast. Weingummi-Apfelringe, sagt Charles.

Dann – vielleicht verändert sich der Geschmack des Weins, vielleicht aber auch nur unsere Wahrnehmung – scheint der Apfel weniger saftig, weniger frisch zu sein. Wie Apfelspalten, die schon etwas länger auf dem Tisch stehen, meint Siegfried. Ja, vielleicht. Nein! Er korrigiert sich selbst: Wie Dörrapfel. Ja, genau so schmeckt es.

Wenn der Apfelgeschmack entschwindet bleibt eine sanfte Tabaknote – nicht mehr als eine Ahnung. Wie von einer frischgerollten, noch nicht angezündeten Zigarre, die die Zungenspitze berührt hat.

Wir kehren wieder zurück zum Mittelspiel des Sauvignons. Da war noch etwas außer Apfel, meint Charles. Beim bedächtigen Weitertrinken ertastet er neben dem bestimmenden Apfelgeschmack ein zurückhaltendes Kräuteraroma… Estragon!

Die Instinkttrinker sind sich einig:

Ein feiner Wein, nicht zuletzt nach einem glutheißen Tag.


Verworrenes Fest in der verwunschenen Mühle

Kleine Rosé-Reihe Teil 3

Einer seltenen Einladung aufs Land folgend, sehen die Instinkttrinker die Möglichkeit, im Rahmen der Feierlichkeiten den ein oder anderen Rosé zu verkosten und somit unsere kleine Reihe weiterzuführen. Dieses Unterfangen stellt sich aber als ungeahnt schwierig heraus. Im Stimmengewirr ist es schwer einen klaren Gedanken zu fassen. Aktuelle Vulkanausbrüche, der Niedergang der Nationalmannschaft nach Philipp Lahm, Beziehungserwartungen in Mexiko, Mikroplastik in Pflegeprodukten – all diese Themen ringen um Aufmerksamkeit und torpedieren unsere gaumenwärtige Innenschau.

Wir versuchen es trotzdem, und nehmen uns zuerst den Bordeaux Rosé AOC vor.

Charles vermeint geriebene Orangenschale zu erschmecken, aber Siegfried schreitet energisch ein: Es ist Pink Grapefruit! Und das stimmt. Der Geschmack ist herb und geradeheraus. Schnörkellos und überraschend langlebig.

Siegfried füllt nun die Gläser mit dem Gran Verdier Syrah Rosé den er vor einem Jahr getrunken und in guter Erinnerung hat.

Umso rüder ist das Erwachen. Dieser Wein versucht uns zu übertölpeln! Bevor sein Grundaroma wirken kann, wird es von sich rasch ausbreitender Süße überschwemmt, die sich langsam im Mund überschlägt. Sehr anbiedernd, findet Siegfried. Was liegt unter diesem gefälligen Kandisgeschmack und den vagen Fruchtaromen? Eine bittere, geradezu käsige Note, wie von Comté. Charles gesteht dem Tropfen noch einen Nachgeschmack von Rosenblättern zu, aber Siegfried bleibt auch hier bei Käse.

Unter Blitzen und Donnergrollen beginnt ein Sturzregen und wir drängen uns mit den anderen Gästen unter den Sonnenschirmen zusammen, die bald so durchnässt sind, dass sich fette Tropfen von ihrer Unterseite lösen.

Wir gießen uns etwas Corsaire Rosé ein.

Der Cosaire perlt frisch über den Gaumen ist aber erstmal schwer einzuordnen. Wir lauschen im Stimmengewirr in uns hinein. Nach einer langen Pause sagt Siegfried: „Stell dir vor, du reitest auf einem Schimmel durch die Provence.“ Charles stellt es sich vor. „Lass dich drauf ein.“ Charles lässt sich drauf ein. „Und jetzt denk an Lavendel, tiefdunklen Lavendel, der dieses Betäubende hat.“ Ja. Genau das ist es. Und dann klingt der Corsaire mit dem Geschmack von Walderdbeeren aus – halbreifen, auf der einen Seite schon roten auf der anderen noch weißen Walderdbeeren.

Welcher Wein ist nun der Favorit des heutigen Abends? Keiner der drei hat uns in Begeisterungsstürme versetzt. Nach einigem Überlegen einigen wir uns auf den geradlinigen, herben Bordeaux Rosé AOC, den wir beim Discounter erstanden haben. Er ist simpel und ehrlich und damit keine schlechte Wahl für den heutigen Sommerabend.

Genug. Das Wetter wird ungemütlich und in das ein oder andere Gespräch will man sich doch noch einmischen. Wir verschieben das Fotografieren der Flaschen auf den nächsten Morgen. Keine gute Idee.

 

 

Die Instinkttrinker melden sich zurück!

Kleine Rosé-Reihe, Teil 1

Wir sind zurück! Die Fastenzeit ist schon eine ganze Weile vorbei und es ist höchste Zeit wieder mit gezücktem Notizbuch das Kämmerlein zu öffnen, wo das weingefüllte Schwerlastregal wartet.

Auf der Türschwelle entscheiden wir uns dafür, nach der langen Wartezeit eventuelle Leser unseres Blogs mit einer programmatischen Neuerung zu überraschen. Genauer gesagt, wollen wir uns überhaupt an etwas wie einem Programm versuchen, noch genauer: An einer kleinen Reihe zu Rosés.

Die Wahl fällt auf den Elégance de Tourteau Chollet.

Siegfried probiert als erster und sagt sofort: „Ein richtiger Frühlingswein.“ Der erste Schluck ist von einem überraschend deutlichen, aber durchaus angenehmen Alkoholhauch umweht und ein kühler Geschmack – wie Messing – legt sich auf die Zunge. Siegfried erschmeckt süßen Taubnesselnektar, aber da ist noch eine andere deutliche Fruchtnote, auf die wir nicht direkt kommen.

Nach einigem Herumtasten haben wir es endlich: Es schmeckt nach weißem Plattpfirsich und dazu passt auch der ungewöhnliche, weiche, pelzige Nebenklang, der zusammen mit einer leicht bitteren Note an Pfirsichhaut erinnert. Charles vermeint darüberhinaus ein Prickeln festzustellen, aber Siegfried wiederspricht. Doch irgendetwas ist definitiv zu spüren, eine feinperlige Struktur, die auf den Geschmacksknospen schimmert.

Schon nach dem ersten Glas löst sich das Pelzige, Bittere auf und das Alkoholische verdichtet sich auf der Zunge zu einem Anklang kurzgereiften Cognacs. Ohne die bitteren Nebentöne tritt die Pfirsichnote jetzt klar und unmissverständlich hervor und macht für uns den Wein mit einem Schlag besonders. Siegfried hat die spontane Vision eines Frühlingsfestes mit Blumenschmuck aus weiß-orangenen Gestecken.

Wir beschließen: An einem lauen Frühsommerabend ist der Elégance de Tourteau Chollet genau der richtige Wein für einen Ausflug in den nächstgelegenen Park.

Zugbier

Zugbier, oh wie liebe ich Dich. Wildfremde bewundern das gekonnt eingeschenkte Weizenbier mit seiner herrlichen Blume. „Oh, das sieht aber lecker aus“. Ein freundliches Zuprosten, man

Erdinger Weißbier 2018

versteht sich, nicht nur Donnerstagabends an der schnellsten Theke Deutschlands. Was macht es so besonders nach einem Arbeitstag voller Termine in den Zug zu steigen und ein Weizen zu trinken? Das schnell einsetzenden Gefühl der Betäubung, das man sich schon seit Stunden herbeiwünscht, den deutlich einfacheren Einstieg zu einer netten Plauderei im Bordbistro oder dieses im Kopf manifestierte Gefühl, Feierabend, Weizenbier? „Zu viel Weißbier?“ ruft die Kellnerin einem wankendem zu. Für mich ist es dieser einzigartige Geschmack von Feierabend, ein Weizen und ein kleines Nickerchen, ist ja ne Dienstreise, dieser Moment legalisiert das Trinken und Dösen während der Arbeitszeit und das schmeckt man bei jedem Schluck.

Euer Harald

Malbec monday

Wie eine junge Weinrebe stehen wir auf dem noch kargen Boden unseres Weinbergs und wollen von unzähligen Winzern erzogen werden. Also los geht’s, Malbec Monday, ein Zufall, nein ein Schwerlastregal und das Aufräumen unzähliger Mitbringsel bringt uns heute auf diesen Pfad. Eins kann ich sagen, Terreo Malbec 2016, auf jeden Fall mein Geschmack. Notizen wurden keine gemacht. Aber hat der Wein einen leichten Stich Lila in der Farbe oder bin ich wieder geblendet von den Etiketten, eine echte Schwäche von mir. Egal, ich werde dieses Weihnachtsgeschenk nachbestellen und ausgiebig beschreiben! Danke Papa.

Euer Siegfried Syrah

… wird endlich gut.

Hiermit ist es geschehen: Wir geben ein Monopol auf. Über zwei Jahre lang sind wir die einzigen Offline-Blogger Deutschlands gewesen. Auf Zugreisen durch die Republik, in Landgasthöfen und Weinläden, auf Straßenfesten und Hauspartys fielen immer wieder die Worte: „Wir haben auch einen Weinblog. Instinkttrinker.“

Dass dieser Blog noch nicht im Internet existierte und streng genommen auch in keinem anderen Medium – abgesehen vom altehrwürdigen Vehikel des gesprochenen Wortes – störte uns wenig. Denn bald, am Wochenende wahrscheinlich, würden wir uns zusammensetzen und das Ding anfangen.

In anderen Lebensbereichen sind wir mit leeren Versprechungen der Art, ob uns selbst oder anderen gegenüber, immer recht gut gefahren. Leider gab es in diesem Fall einen neuartigen Faktor: Den Offline-Follower. Unzufriedene Offline-Follower können äußerst unangenehm sein. Nicht zuletzt sind sie in der Lage einem nicht nur metaphorisch sondern auch physisch folgen. Unsere Situation verfinsterte sich und wir entschlossen uns endlich den Schritt ins Digitale zu unternehmen.

Aber dann, in den vergangenen Tagen, überkamen uns wieder Zweifel. Nicht dass wir uns vor Arbeit scheuten. Einen Wein zu trinken und mit tanninbepelzter Zunge die richtigen Worte dafür zu suchen ist für uns zu einem vollkommen intuitiven Prozess geworden. Aber hatten wir uns nicht ohne es zu merken ganz dicht an die Pyramidenspitze der Informationsavantgarde bewegt? Sollten wir nicht an unserem organisch entstandenen Offlineblogkonzept festhalten und unsere Posts – in Form von per Matrize verfielfältigten Zetteln – über die schwarzen Bretter von Supermärkten, Universitäten und Zoohandlungen verbreiten? Würde uns nicht bald von Dalston bis Williamsburg nachgeeifert werden?

Wir werden nie erfahren, was gewesen wäre. Unser Zaudern muss irgendwann ein Ende haben, auch wenn dafür Zukünfte geopfert werden müssen. Und so befinden wir uns hier, in einem gutverborgenen, noch kaum besuchten Winkel des Internets und warten auf unsere digitalen Gefolgsleute.

 

 

 

 

Was lange währt…

Wenn man weiß, was man riechen soll, sind die Rosen und Veilchen nicht mehr aus der Nase zu bekommen.

Ruchè Di Castagnole Monferrato 2015

Wenn man es nicht weiß, riecht dieser Ruchè wie der erste Siloanschnitt bevor der silierte Mais der Kuh verfüttert oder der Biogasanlage einverleibt wird. Findet zumindest Siegfried Syrah.

Für die Instinkttrinker bedeutete dieser Wein eine steile Lernkurve. Zuerst in kleine Rotweingläser gefüllt und ohne Zeit zu atmen angegangen, war wenig Mythisches an dem Tropfen. Allenfalls die purpurne Färbung fiel auf. Als dann aber ein Glaswechsel vorgenommen wurde – erzwungen durch einen lampenfiebrigen Ellbogenstoß von Charlie Chardonnay – und der Wein durch das Ringen mit dem Layout etwas Zeit bekam, eröffneten sich jedoch außergewöhnliche Aromen.

Also – wichtig für Genießer, damit nicht das Salatdressing mit diesem besonderen, aber in kleinen Gläsern nach Essig riechenden Wein abgeschmeckt wird – trinkt ihn aus bauchigen Gläsern!

Aber wie schmeckt er? Keine Spur von Blumen. Er wirkt klar, hat eine gewisse Schwere und einen in sich geschlossenen Geschmack, der sich auf seinem Weg über Zunge und Gaumen nicht verändert.  Aber trotz seiner Klarheit ist das Aroma schwer zu fassen. Sehr fruchtig, aber die üblichen Verdächtigen scheiden aus. Nach längerem Herantasten vermeinen wir Holunderbeeren zu erschmecken. Siegfried entdeckt dazu überreife Kirsche. Nach einer guten Weile bemerkt man auch einen Hauch von Tannin. Und noch viel später: Die Rosen und Veilchen stehlen sich nun doch auf die Zunge.

Fazit: Ein sehr schöner Wein, der die Instinkttrinker direkt zu Beginn vor eine schwere Prüfung gestellt hat: Mit einem ganz klaren Aroma, das sich aber noch unseren Beschreibungsversuchen entzieht. Dieser äußerst ungewöhnliche Tropfen ist etwas für den stillen Genuss, aber eignet sich auch hervorragend für alle jene, die mal mit Kennergeschmack beeindrucken wollen.