Kontemplative Wanderung durch den Guntersblumer Kräutergarten
Die Instinkttrinker sind zurück! Dringende aber schöne Angelegenheiten haben unsere Schreibpause über Gebühr ausgedehnt. Doch ist nun glücklicherweise der Drang endlich groß genug geworden, uns einen schönen Sommerabend mit einem guten Tropfen zu versüßen und darüber zu berichten.
Wir lauschen in uns und den lauen Sommerabend hinein und wählen einen Riesling aus: Der Guntersblumer Himmelthal Jahrgang 2017. Dieser Wein hat auf verschlungenen Wegen zu uns gefunden. Ein Freund von Siegfried hatte sich arbeitsbedingt in das illustre Guntersblum begeben und dort auf Siegfrieds Wunsch hin beim Weingut Domhof vorbeigeschaut. Dort war Siegfrieds Name ein Begriff und drei vielversprechende Flaschen wechselten für einen fast symbolisch zu nennenden Betrag die Hände.
Zugegebenermaßen sind wir etwas nervös bei unserem Comeback. Etwas außer Übung öffnen wir die Flasche und machen uns gierig an das erste Glas. Unsere Geruchsanalyse: Dieser Riesling riecht nach Riesling. Aber schon beim ersten Schluck steigen unsere Augenbrauen in die Höhe. Keine Spur von der erwarteten Zitrusfrucht. Stattdessen ein kräftiger, leicht bitterer Kräutergeschmack. Wir stellen fest, dass dieser Tropfen unsere gesamte Konzentration benötigt. Das ist kein Riesling, den man plaudernd nebenbei schlürft, kein Partygetränk, er verlangt Aufmerksamkeit. Er ist trocken. Knackend trocken wie ein sonnengebleichtes Stück Treibholz vom letzten Frühlingshochwasser.
Eine feine Säure wirbelt langsam im Mund herum und erinnert Charles an Kieselerde. Vage vermeinen wir eine grüne, unreife Frucht unter dem Kräutergeschmack zu erspüren, aber wir kommen nicht weiter. Siegfried erahnt außerdem eine vielleicht taubnesselige Süße im Nachgeschmack. Aber all das verliert sich im Ungefähren. Der volle und edle Kräutergeschmack hingegen ist unzweifelhaft. Charles fühlt sich an die Kräutermischung für grüne Sauce erinnert. Oder doch Bergkräuter?
Ein Kraut sticht hervor. Im Geiste durchstreifen wir einen Kräutergarten, um es ausfindig zu machen. Liebstöckel? Nein. Bohnenkraut? Nein. Salbei? Auch nicht. Solange wir auch suchen, wir scheinen der Antwort nicht näher zu kommen. Auch ein zweites Glas will keine Klarheit bringen. Bald ist die Flasche leer, aber die Pflanze immer noch unbestimmt.
Obwohl uns dieser Riesling ausgezeichnet gefällt, macht uns der Ausgang unseres Neueinstiegs Sorgen. Diesen so spezifischen Geschmack nicht in Worte fassen zu können schmerzt: Unsere Instinkte scheinen uns im Stich gelassen zu haben.
Charles macht sich auf den Heimweg. Etwas niedergeschlagen.
Es ist schon tiefe Nacht, als er Siegfrieds Nachricht empfängt. Sie besteht aus einem Wort.
„Kerbel“.
Hallelujah!